Bewegungskunst

Warum sprechen wir von Shinson Hapkido als Bewegungskunst?

von Sabomnim Uwe Bujack

Der Begriff Kampfkunst ist sehr verbreitet. Mit diesem Begriff bemüht man sich, bestimmte Stile oder gar Konzepte vom herkömmlichen Begriff Kampfsport zu unterscheiden. Diese Unterscheidung scheint notwendig: der Begriff Sport ist in seinem Wesen nach außen hin gewendet. Sport leitet sich ab aus " exportare ", dies heißt: nach außen tragen. Dies impliziert zwar eine Bewegung von innen nach außen, doch dieses Innen wird nicht weiter bestimmt und bleibt unerkannt. Deshalb kann Shinson Hapkido nicht Kampfsport heißen. Ziel des Trainings von Shinson Hapkido ist die Entwicklung des Selbst, die Entwicklung der Menschlichkeit und die Entdeckung des eigenen Herzens. Shinson Hapkido Training führt nach innen, und nach außen in die Gemeinschaft, die aber wiederum nach innen in das eigene selbst wirkt. Unabhängig davon bezeichnen sich viele Stile aus Ostasien mit dem Begriff Do. Auch dieser Begriff bleibt aber im Unbestimmten. Bestenfalls gibt es eine Herleitung oder Charakterisierung des Begriffes aus dem weiteren Namen des Stils. Bei einer konkreten Betrachtung findet man jedoch keine Erklärung des Begriffs Do, vielmehr scheint der Gebrauch recht willkürlich. Selbst wenn man Praktizierende dieses Stils nach der Bedeutung des Begriffes Do im Namen des Stils fragt, erhält man oft Antworten, die auf den technischen Bereich verweisen: zum Beispiel zur Art und Weise, wie bestimmte Techniken ausgeführt werden. Dieses Problem der Unbestimmtheit des Begriffes Do ist jedoch kein Problem der Stile allein. Schon im Tao te King heißt es: das Do (Tao), von dem man reden kann, ist nicht das wahre Do. Dies führt vielleicht in den philosophischen Kern dieses Begriffes und in die Bedeutung dessen, was man tut, eignet sich aber nicht zur Charakterisierung und Unterscheidung von Begriffen wie Sport. Deshalb hat sich in den letzten Jahren der Begriff Kampfkunst etabliert. Dieser wird oft durch den Begriff Bewegungskunst ersetzt, um  die Fixierung auf den Begriff Kampf zu vermeiden. Der Begriff  Bewegungskunst führt von den vertrauten Bildern, die viele Menschen mit dem Begriff Kampfkunst verbinden, weg. Dies ist positiv, dadurch werden neue Türen geöffnet. Dennoch ist dieser Begriff sehr allgemein. Einerseits wird nicht ausgedruckt, welche Art von Bewegung ausgeführt wird. Auf der anderen Seite gibt es keine Klarheit über den Begriff Kunst. Im üblichen Selbstverständnis wird der Begriff Kunst in den Bereichen der Bewegungs- und Kampfkunst oft mit Kunstfertigkeit gleich gesetzt. Kunstfertigkeit hat jedoch einen eindeutig technischen Bezug und erklärt nicht den Begriff Kunst als solche.Vielleicht gibt es jedoch eine Möglichkeit, die Bedeutung des Begriffes Kunst einen tieferen Verständnis zuzuführen. Was macht Kunst zur Kunst? Dazu ein paar Thesen. Kunst muss über das technische Können hinaus vor allem drei Kriterien erfüllen:1. Vollständigkeit2. Originalität3. BewusstheitWas ist aber unter  diesen Begriffen zu verstehen? 1. Vollständigkeit, GanzheitKunst verlangt den ganzen Menschen (wer bin ich). Ein Kunstwerk entsteht erst, wenn der Künstler aus ganzem Herzen spricht, der Adressat sich im Herzen angesprochen fühlt. Ein Kunstwerk, das Menschen nicht anspricht, bleibt bedeutungslos. Dazu muss der Künstler jedoch sich als ganzen Menschen investieren. Im Westen sagt man  mit Körper, Geist und Seele, im Shinson Hapkido ist bewegt man immer Ki (Energie),  als Chong(Körper)-, Saeng (Atem)- und Shin(Geist)-Ki bewegt, hier ist die Einheit vielleicht noch deutlicher ausgedrückt. Nur so nutzt der Kampfkünstler die Möglichkeiten, die seine Techniken bieten, um den ganzen Menschen an seinem Schaffen und seiner Idee zu beteiligen. Dies betrifft jede Kunst unabhängig vom Medium. Ich denke an dieser Stelle nicht nur an klassische Vorführungen, bildende Kunst oder Musik, sondern auch an Training als eine Form, in der sich Künstler (Lehrer) und Publikum (Schüler) in einer besonders engen Gemeinschaft treffen und die Grenzen der verschiedenen Rollen aufheben. Das Medium funktioniert dabei wie eine Tür, die sich vom inneren Erleben des Künstlers zum Publikum hin öffnet und, im idealen Fall, hin und her schwingen kann. Ein Shinson Hapkido Training kann ein solcher idealer Fall sein.   2. Originalität Aus der Ganzheit ergibt sich die Originalität. In seiner Entstehung ist jedes Leben etwas Einmaliges und Originales Jedes Werk ist etwas Gemachtes, Hergestelltes und doch gleichzeitig etwas Lebendiges. Es wird neu geboren und stellt seinen (Geburts-)Prozess durch sich selbst dar. Zwar verschiebt technische Reproduzierbarkeit von Kunstwerken das Gewicht der Kreativität hin zum Betrachter, doch das Kunstwerk stiftet eine Einheit von Künstler und Publikum, die im medialen Charakter begründet liegt. Wenn ich tue, kommuniziere ich. Es ändern sich beide: Der, der tut, der der wahrnimmt. Die Einmaligkeit eines Trainings stellt eine ganze besondere Balance zwischen Lehrer und Schüler dar. Dies liegt im Zeitbezug eines Trainings: Ebenso wie ein Live- Konzert funktioniert es nur in der gegenwärtigen Situation. In der Erinnerung verändert es sich, in der Erwartung bleibt es unbestimmt und wird ein Erlebnis eines einzelnen. Das Wesen eines Trainings ist aber die Gemeinschaft,  sonst kann man nicht von Training sprechen. Auch wenn ich allein trainiere, so hat die Umgebung Einfluss auf mein Tun. Dies trifft im Besonderen auch für die Kampfsituation zu. Für den Freikampf darf es keine Erwartung geben, erwarte ich Sieg oder Niederlage, bin ich nicht mehr frei. (Oft genug Grund für "Niederlagen"). Dies heißt nicht, dass Vergangenheit und Zukunft negiert werden. Ich muss ergründen, woher ich komme, wohin ich gehe. Doch Erwartung darf eine (Kampf-, Trainings-) Situation nicht bestimmen, sonst werden nur alte Ängste, unbewusste Wünsche oder vorhandene Machtgefüge verfestigt. Die Erkenntnis der Einmaligkeit dieser Situation aber öffnet für alle beteiligten neue Optionen. Kampfkunsttrainer tragen aber häufig Gewalterlebnisse in sich und reproduzieren Machtverhältnisse. Als solche möchte ich sie aber nicht Künstler nennen.3. BewusstheitDurch das Erkennen meiner Situation wachse ich nun über die erlebte Gegenwart hinaus. Wir hatten oben schon das Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft erörtert  Im Training gibt es zum Beispiel oft Situationen, da Angst machen. Oft rührt diese Angst aber nicht aus der Situation selbst, sondern aus Vergangenem und Verdrängtem. Wenn ich dies erkenne, kann ich diese Angst in der Gegenwart bearbeiten. Dies wird mein Verhalten in der Zukunft verändern. Habe ich mir aber diesen Vorgang einmal zunutze gemacht, kann ich auch in Zukunft damit umgehen, ja, meinen Ausdruck und mein Handeln so gestalten, dass dies auch für andere Menschen erlebbar und nutzbar wird. Im o.a. Fall scheint dies eine therapeutische Situation zu sein. Doch diesen Prozess der Selbsterkenntnis in der Herstellung eines Kunstwerks kennt jeder Künstler, und dies erkennen auch viele Betrachter. Warum dies so ist, muss an anderer Stelle behandelt werden. Jeder kreative Prozess, (für den Autor auch jedes Training), ist ein umfassender und einmaliger Akt des Erkennens. Zu sich selbst zurückweisend ein Akt der Selbsterkenntnis, aufgrund des medialen Charakters aber auch ein Akt,  der die Umgebung und andere Menschen mit einbezieht. Somit ist ein Training oder auch das Training einzelner Bestandteile wie z.B. Formlauf eine bewusste, einmalige und vollständige Kommunikation. Jedes Training fordert den ganzen Menschen, findet in einer einmaligen Situation statt und entwickelt das Bewusstsein aller Beteiligten.Hamburg, im Oktober 2012